Aufbruch im Dialog
Die Zukunft der Ausbildung wird wesentlich von der Zukunft der Theater und Orchester bestimmt. Ein Plädoyer für Reformen von Prof. Dr. Thomas Schmidt.
Die Zukunft der Ausbildung kann nicht ohne eine Zukunft der Institutionen gedacht und entwickelt werden, für die wir unsere Studierenden ausbilden. Dazu gehören die klassischen öffentlichen Theater und Orchester, aber zunehmend auch freie Projektträger oder Gruppen, Ensembles und Companies, denen sich einige unserer Alumni anschließen oder die sie selbst gründen. Schließlich werden einige als Soloselbständige arbeiten, wenn die finanziellen und strukturellen Bedingungen passen: Wer sich für diesen Weg entscheidet, sollte sich eine Toolbox mit Kompetenzen zulegen, die bereits im Zuge des Studiums angeeignet werden. Dazu gehört ein Knowhow in mindestens drei Feldern: Selbstvermarktung, Förderpolitik und Management.
Wenn es gelungen ist, sich in einer unübersichtlichen Welt der Förderprogramme zu orientieren und die geeignete Förderung zu finden, müssen Projektanträge geschrieben, Budgets erstellt, Steuern berechnet, Verträge verhandelt und Vermittlungs-Programme aufgestellt werden. Eine große Resilienz im Einklang mit künstlerischen Fähigkeiten ist hierfür ebenso wichtig, wie die Kompetenzen sich schnell vernetzen, gut kommunizieren und flexibel planen zu können, um die Gefahr eines prekären Lebens klug und weitsichtig zu umgehen. Die Weichen müssen früh gestellt werden: Dazu gehört vor allem auch, Techniken der Selbstvermarktung und Präsentation zu erwerben, wie auch Methoden der Lobbyarbeit, also der Kommunikation, die dazu dienen, nicht erst dann Kontakte zu machen, wenn man sie braucht, sondern bereits während der Ausbildung ein professionelles kulturpolitisches Netzwerk aufzubauen, das später belastbar ist.
Gendergerechtigkeit auf Leitungsebene
Ich möchte mich hier auf die öffentlichen Theater konzentrieren, zumal diese mit ca. 60.000 angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Soloselbständigen und Honorarkräften einen der größten Kultursektoren in Deutschland bilden. Die Theater befinden sich gerade in der Anfangsphase eines Reformprozesses, der die Kulturlandschaft in den nächsten 20 Jahren gravierend umwälzen wird, der sie diverser, transparenter, gerechter und partizipativer werden lässt und auch von den patriarchalen Strukturen des Intendantenmodells befreit. Im Vergleich dazu ist das Leitungsmodell an der Spitze unserer Hochschule mit einer modernen Arbeits- und Machtverteilung und einem Frauenanteil von immerhin 40 Prozent auf der ersten Leitungsebene bereits sehr vorbildlich. Wenn wir in den Theatern einmal dorthin kommen, dass von heute 24 Prozent, hoffentlich bald 40 Prozent der ersten Leitungsebene, von Frauen besetzt sind, haben wir bereits viel an Gendergerechtigkeit und Zukunftspotentialen entwickelt. Warten wir die nächsten Besetzungen von Intendanzen in Wiesbaden, Halle, Wuppertal, Karlsruhe und Berlin ab, und hoffen wir darauf, dass der Bühnenverein von seiner einseitigen Ausrichtung auf Männer abgeht und insgesamt reformbewusster agiert.
Überall wachsen bereits Reformpflanzen: Zwei Theatern ist es bereits gelungen, Theatergeschichte zu schreiben. Im Rahmen der Intendantenwahl im März 2022 sind die bestplatzierten Teams und Einzel-Kandidatinnen erstmals auch den Mitarbeiterinnen vorgestellt worden, die ihr Votum im Wahlprozess abgeben durften, ein Schritt, der bei vielen Reformern seit langem als vordringlich galt. Anders hingegen in Städten wie Wiesbaden, Kassel oder Darmstadt, wo noch immer einzelne Herren die für eine Person viel zu großen Staatstheater alleine leiten, und wo die Mitarbeiterinnen noch immer keinen Einfluss auf Wahl oder die Vertragsverlängerung des Intendanten haben. Progressive Intendantinnen und Intendanten haben längst umgesteuert; vorbildlich sind u.a. die Häuser in Hannover, Dortmund, und natürlich auch Bremen mit 3.000 Euro Mindestgage. Bremen liegt damit 1000 Euro über der vom Bühnenverein künstlich niedrig gehaltenen Mindestgage.
Verantwortung für Schwächere
Ich möchte aber weiter blicken, zumal die Ausbildung an der HfMDK nicht von der Gegenwart, sondern von einer möglichen Zukunft dieser Organisationen geprägt sein sollte. Deshalb sollten wir unsere Studierenden auf den Wandel in den Organisationen vorbereiten und darauf, mehr Verantwortung in Ensemble-Vorständen und Mitarbeiter-Vertretungen zu übernehmen, um für andere einzustehen und Schwächere und Benachteiligte zu schützen.
Es wird nicht alles ewig beim Alten bleiben. Mit den Reformen werden sich auch die Berufsbilder wandeln und die Verantwortung aller für einen Kultursektor, der noch immer in einer Legitimationskrise steckt, wird beständig steigen. Wir müssen uns des Reform-Momentums und der Kraft einer möglichen Transformation vergewissern. Macht- und diskriminierungssensible Diskurse finden endlich ihre Entsprechung in dem Versuch, tiefgreifende Konflikte zu lösen und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Voraussetzung hierfür ist die strikte Abkehr von jeglicher Form der Diskriminierung. Denn keine Emotion beraubt den Geist so vollständig von seinen Möglichkeiten zu handeln und zu denken wie die Angst, schrieb Edmund Burke bereits 1757. Über die Hälfte aller am Theater arbeitenden Menschen müssen noch immer mit diesem Gefühl leben und arbeiten (Schmidt 2019). Unsere Unterrichte müssen sich also auch damit intensiv beschäftigen.
Wertekompass pro Teilhabe
In Zukunft müssen überall dort, wo Angst und Diskriminierung noch an der Tagesordnung sind Safe Spaces entstehen, sichere Orte. Moderne Instrumente, wie z.B. Diversitäts-Beauftragte, Konfliktlösungsmechanismen und Codes of Conduct als Werte-Kompass einer Organisation werden die Teilhabe der bislang Ausgeschlossenen sicherstellen. Das funktioniert nicht ohne Gegenwind: Einige Theaterleiter und auch Kulturpolitiker sträuben sich bis heute gegen diese Entwicklungen.
Dies vorzuleben und bereits in den Unterrichten umzusetzen, ist aus meiner Sicht wesentlich, um eine moderne Ausbildung zu sichern, und um darauf vorzubereiten und einzuüben, was morgen zu den Standards in den Organisationen gehören wird. Das bedeutet für uns Lehrende, sich aktiv mit den Entwicklungspfaden zu befassen und im Dialog mit den Studierenden gemeinsam zu erarbeiten, welche zusätzlichen Kompetenzen sie in Zukunft benötigen, um in der sich wandelnden Kulturlandschaft ihre Chancen zu verbessern. Je ganzheitlicher unsere Studierenden ausgebildet werden, desto vielfältiger werden ihre Chancen, die eigenen Träume in der Musik, im Theater und im Tanz zu verwirklichen.