Eine Prise Berufsrealität
Die Theaterlandschaft ist im Umbruch, der Ruf nach angewandtem Branchenwissen als Teil des künstlerischen Studiums in den Fächern Schauspiel und Regie wird lauter. Die HfMDK-Lehrbeauftragten Anica Happich und Jakob Arnold erklären, wohin das führt.
Text: Anica Happich und Jakob Arnold
Struktur- und Hierarchiefragen, Debatten um Zugänglichkeit und Diversität und nicht zuletzt die kulturpolitischen Kämpfe in schrumpfenden kommunalen Haushalten – nochmals verstärkt durch die Pandemie – befragen die institutionelle Theaterstruktur von mehreren Seiten und klopfen sie auf ihre Attraktivität für junge Theaterschaffende ab.
Dieser Vorgang ist zweischneidig: Zwar mag das deutsche Stadt-, Landes- und Staatstheater teilweise einen Reformstau aufweisen, doch bleiben die öffentlich geförderten Theater die Hauptarbeitgeber für hunderte Künstlerinnen und Künstler, die in den staatlichen Schauspiel- und Regiestudiengängen jährlich ausgebildet werden. Auf der anderen Seite steht die – skurrilerweise in der Pandemie erstarkte – freie Szene, die sich über projektbezogene Fördergelder finanziert und sich auf Kosten finanzieller Unsicherheit eine fragile Freiheit „erkauft“; ob sich die aktuell durch die „Neustart Kultur“-Gelder komfortable Situation über die Pandemie hinaus halten kann, bleibt indes abzuwarten.
Erfahrungswissen schützt vor Frustration
Eingespannt zwischen den Anforderungen eines von finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen knapper werdenden Marktes und dem Bedürfnis nach strukturellen Veränderungen zugunsten einer größeren künstlerischen Freiheit des einzelnen Ensemblemitglieds, sehen sich auch die Ausbildungsinstitutionen mit paradoxen Forderungen konfrontiert: Sie sollen exzellentes Handwerk beibringen und zugleich individuelle künstlerische Freiheiten garantieren, um einen „sicheren“ Berufseinstieg zu ermöglichen.
Ein Phänomen in dieser unklaren Gemengelage ist der Ruf nach berufspraktischem Erfahrungswissen, das möglichst früh im Studium implantiert werden soll; dies wird an der HfMDK derzeit u.a. abgedeckt durch das Seminar „Angewandtes Branchenwissen“, geleitet von der Verfasserin und dem Verfasser dieses Artikels. Studieninhalte zur Bewerbung, zum Selbstmarketing, zu Netzwerken und vielem mehr sollen die Studierenden ermutigen, sich als im besten Sinne „Selbst-Ständige“ auf den Weg in ein schwieriges Berufsfeld zu machen. Zugrunde liegt hierbei die Überzeugung, dass ein schon früh geteiltes praktikables Branchenwissen alle Beschäftigten – und damit in einem zweiten Schritt auch die Branche selbst – vor Frustration schützt, zu Innovation ermutigt und zu nachhaltigem Handeln einlädt.
Die Eigenwilligkeit der Kunst aushalten
Die scheinbar kunstfremden Inhalte solcher Seminare können freilich Skepsis hervorrufen – und das womöglich gar nicht zu Unrecht. Sollen hier die Studierenden, die sich doch frei und künstlerisch ausprobieren sollen, zu Selbst-Unternehmern herangezogen werden, zu neoliberalen Subjekten, die sich möglichst gut verkaufen?
Bei diesem Einwand dient häufig das Festengagement als Kontrastfolie einer vermeintlich sich den Marktgesetzen entziehenden künstlerischen Eigenlogik, in der nur der künstlerische Inhalt zähle. Ob diese Projektion auf die Theaterrealität heute zutrifft (und ob sie je zutraf), darf angezweifelt werden; dennoch müssen die genannten Inhalte in der Tat den eigenwilligen künstlerischen Gesetzmäßigkeiten stand- und die daraus resultierenden Widersprüchlichkeiten aushalten.
Dann kann im besten Fall, so unsere These, eine Prise Berufsrealität auf die künstlerischen Inhalte zurückführen, indem sie Gesetzmäßigkeiten des Marktes erkennt, vermittelt und so einen gelassenen und angstfreien Umgang mit ihnen einübt.