Lasst die Quellen erklingen!
Was es heißt, in der Forschung zusammenzuarbeiten, zeigen Prof. Dr. Fabian Kolb und Prof. Eva Maria Pollerus in ihren Recherchen zu den Opernbeständen des Mainzer Nationaltheaters.
TEXT: Bernhard Siebert
Wenn es um das Thema Forschung geht, bleibt für viele oft unklar, wie man sich das an einer Kunsthochschule genau vorzustellen hat: Was wird eigentlich erforscht und wie ist diese Arbeit in den Hochschulbetrieb eingebettet? An der HfMDK wird ein pluraler Forschungsbegriff gepflegt, was bedeutet, dass in unterschiedliche Richtungen geforscht wird: Wissenschaftliche, pädagogische und künstlerische Ansätze existieren nebeneinander, sie verschränken sich aber auch an vielen Stellen.
An einer solchen Verschränkung wird derzeit in einem Forschungsprojekt zum Mainzer Nationaltheater gearbeitet, einer Institution, die lediglich vier Jahre Bestand hatte, nämlich von 1788 bis 1792, in dieser kurzen Zeitspanne jedoch an ihren Spielstätten in Mainz und Frankfurt Beeindruckendes auf die Bühne brachte. Hierzu kooperieren Prof. Eva Maria Pollerus und Prof. Dr. Fabian Kolb: Er ist Musikhistoriker, sie Spezialistin für Historische Interpretationspraxis, also dafür, wie Instrumente früher gespielt wurden und welche Aufführungspraktiken und -konventionen die Musik prägten.
Die beiden erschließen gemeinsam die Opernbestände des Mainzer Nationaltheaters, die zu großen Teilen in der Frankfurter Universitäts-Bibliothek lagern, sich aber auch andernorts weit verstreut finden. Es geht einerseits darum, die Quellen ausfindig und zugänglich zu machen, sie wissenschaftlich aufzubereiten, einzuordnen und zu analysieren, andererseits aber auch darum, aus den archivierten Noten wieder klingende Musik zu machen, sie wieder zu verklanglichen.
» Als Musikhistoriker wünsche ich mir, dass die Quellen zum Leben erweckt werden, das Repertoire in seiner individuellen historischen Gestalt wieder sinnlich erfahrbar und im Sinne eines historischen Reenactments möglichst authentisch und in einer für die damalige Zeit typischen Weise für uns wieder erlebbar wird. «Prof. Dr. Fabian Kolb – für ihn ist daran auch ein Erkenntnisinteresse geknüpft.
Das Projekt ist Teil aktueller Forschungsinteressen, die sich näher mit der Geschichte der regionalen Musikkultur auseinandersetzen. Was ist in den Jahrzehnten um 1800 in der Rhein-Main-Gegend passiert, welchen Stellenwert hatte Musik und wie war sie in das gesellschaftliche Leben eingebettet? Das Mainzer Nationaltheater spielte hierbei eine besondere Rolle – es ist vorne mit dabei, handelte es sich doch um eine der damals führenden deutschen Opernbühnen. Besonders interessant: Dieses Theater war zwar ein höfisches Unternehmen, allerdings ging das Interesse am Musik- und Bühnengeschehen weit über adlige Kreise hinaus. Und hier kommt nun auch der damals gerade neu gegründete Mainzer Verlag Schott ins Spiel.
»Für ein breiteres Publikum ließ er die Opernpartituren in Fassungen für kammer- und hausmusikalische Kontexte herrichten, um die Theatermusik so in allen denkbaren Formen vermarkten zu können: vom Klavierauszug über Einrichtungen für Streichquartett, für Violine und Klavier bis hin zur Version für zwei Flöten.«Prof. Dr. Fabian Kolb
Damit konnte die beliebte Musik zu Hause auch allein oder in kleiner Besetzung selbst gespielt werden – nicht zuletzt ein wichtiges Moment der gesellschaftlichen Teilhabe.
» Es ist ein Glücksfall für die Forschung an der HfMDK, denn diese Bearbeitungen eignen sich nun wiederum ideal für die Lehre. «Prof. Eva Maria Pollerus
Einerseits lässt sich an kaum bekanntem und erschlossenem Material eine forschende Herangehensweise, welche die historische Interpretationspraxis untersucht, gut erproben. Andererseits erlangen die Studierenden auch ein Gefühl für die Musikgeschichte, für Spielpläne um 1800 in der Rhein-Main-Region und eben nicht zuletzt für die damals gängige Bearbeitungspraxis. Eva Maria Pollerus schildert, was das für den Unterricht bedeutet:
»Exemplarisch bearbeiten Studierende nach den historischen Vorbildern dann auch selbst Beispiele aus dem Repertoire des Mainzer Nationaltheaters für ihre Instrumente und erfahren so nicht nur mehr über das zu bearbeitende Repertoire, sondern lernen die individuellen Eigenschaften der historischen Instrumente und Musiksprachen auf eine besondere Weise kennen.«Prof. Eva Maria Pollerus
An einer Kunsthochschule ist eine derartig eng verzahnte Forschung zwischen Wissenschaft und künstlerischer Praxis möglich. Der erste Konzertabend mit Werken aus den Beständen des Mainzer Nationaltheaters und begleitenden Forschungsergebnissen ist bereits für November geplant.