Theater entsteht, wenn Zusammenarbeit gelingt
Die Bedeutung von Vertrauen, Empathie und Solidarität im Tanz
TEXT: Prof. Dr. Katja Schneider
Theater entsteht, wenn Zusammenarbeit gelingt. Der Satz ist so einfach wie banal. Spannend wird es, sieht man sich die Modi der Zusammenarbeit an, die in Geschichte und Gegenwart der performativen Künste für die Inszenierung, die Mise-en-Scène, ausprobiert und verworfen wurden. Die arbeitsteilige Organisation der Theaterarbeit kann sich dabei in hierarchischen Verhältnissen vollziehen, um dem altmodischen Ideal des singulären Künstlergenies zu huldigen, dem andere zuarbeiten, wie auch in kollektiven Zusammenhängen, in denen die künstlerische Autorität auf alle Akteur*innen verteilt ist, die an diesem Prozess beteiligt sind, und auch in allen denkbaren Zwischenstufen dieser Modelle. „Gelingen“ meint hier, dass am Ende der Lappen hochgeht – auch wenn der Vorhang in vielen Inszenierungen gar keinen Auftritt mehr hat. Über das ästhetische Gelingen einer Aufführung sagt das wenig aus, schon gar nichts über eine gelingende oder misslingende Zusammenarbeit auf sozialer Ebene. Trotzdem ist die Strahlkraft von Gruppen, die kollektive Prozesse entwickelten, groß: das legendäre Living Theatre, die Künstler um Merce Cunningham und John Cage, die Performance Group von Richard Schechner und die für den Tanz sehr einflussreiche Grand Union, in der sich im New York der 1970er-Jahre Yvonne Rainer und Trisha Brown mit anderen Tänzer*innen und Choreograf*innen zusammenfanden.
Revision im Tanz
Ab Ende der 1990er-Jahre wurde das kollektive Arbeiten im Tanz einer Revision unterzogen und programmatisch neu aufgesetzt. Collect-if by Collect-if zum Beispiel versammelte Tänzer*innen, die gewohnt waren, ihr Wissen, ihre Kreativität und ihr Können in künstlerische Prozesse einzuspeisen, und nun ohne organisierendes Zentrum arbeiten wollten.
»Das Fehlen eines Autors führte die Tänzer bemerkenswerterweise sehr bald dazu, sich getrennt voneinander zurückzuziehen, um allein an einer Sequenz zu arbeiten. Diese temporäre ‚Vereinzelung‘ sollte jedoch nicht als ein Zeichen für das Scheitern des gemeinsamen Arbeitens betrachtet, sondern vielmehr als ein konstitutives Moment kollektiver Prozesse anerkannt werden.«Martina Ruhsam, Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, in ihrem Buch „Kollaborative Praxis: Choreographie“ über Collect-if by Collect-if
Solche Aushandlungsprozesse und -praktiken wurden von theoretischen Überlegungen begleitet. Wie unterschieden sich die neuen Kollektive von denen der 1960er/70er-Jahre im Hinblick auf die politische Zielsetzung? Wie passgenau stimmten sie mit neoliberalen Wirtschaftssystemen überein? Wie differenzierten sie sich aus? Der belgische Soziologe und Dramaturg Rudi Laermans etwa untersucht in „Moving Together“ solche Modi der Zusammenarbeit in Flandern und hält fest: „Collaboration was the new, omnipresent buzzword.“
Kollaboration als Wort der Wahl
Trotz seiner noch Ende der 1990er-Jahre ersten Bedeutung als Kollaboration mit dem Feind wurde Kollaboration das Wort der Wahl. Es setzte sich durch gegenüber der blassen „Kooperation“ und dem mit politischer Symbolik der 1960er/70er Jahre aufgeladenen „Kollektiv“. Laermans zitiert den Choreografen Jonathan Burrows – „Collaboration is about choosing the right people to work with, and then trusting them“ – und betont, wie wichtig das Vertrauen in einer Zusammenarbeit ist. Welche Gemeinsamkeiten Burrows im Sinn hat, wenn er von den „richtigen Menschen“ spricht, wissen wir freilich nicht.
Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit ist existenziell
Doch in einer von Krisen, Kriegen und menschengemachtem Klimawandel gezeichneten Gegenwart ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit existentiell. Vertrauen ist dafür sicher wichtig. Auch das Bewusstsein, dass – in welchem Zusammenhang auch immer wir gemeinsam aktiv werden – wir stets mehreren Kollektiven zugleich angehören. Diese individuelle Multikollektivität (Hansen), die durch Kontakt und Kommunikation deutlich wird und Blasenbildung vorbeugen kann, wirkt auf den Zusammenhalt einer Gruppe zurück.
Lernen von den Studierenden
Beobachtbar wird dies zum Beispiel im vierten Jahrgang des Bachelorstudiengangs BAtanz an der HfMDK. Die Atmosphäre ist spürbar anders als in anderen Klassen. Darauf angesprochen, meinten die Studierenden, vor ihrem ersten Studientag hätten sie sich in einem Café und zu einem Spaziergang getroffen und beschlossen, der erwartbaren Unsicherheit mit der Sicherheit zu begegnen, sich gegenseitig zu unterstützen: „Wir, Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Realitäten, mit großen Träumen, haben verstanden, dass die beste Art, die eigenen Ziele zu erreichen, ist, anderen zu helfen, die ihren zu erreichen. Offen und ehrlich sein, zielstrebig, aber auch empathisch“, sagt Marta Maestrelli über diese stillschweigende Übereinkunft. „Wir haben den anderen von Anfang an Raum gegeben, Respekt gezeigt, auch wenn wir nicht übereinstimmten“, so Ramon Ferracane. „Wir konnten immer über alles sprechen“, ergänzt Sonia Lautenbacher. Lernen von den Studierenden – hier gelingt es. Als Solidarität.