A Struggle for Light and Love?
Generalbass und Continuospiel im künstlerisch-forschenden Experiment
Beschreibung
Das Projekt A STRUGGLE FOR LIGHT AND LOVE? setzt sich mit der Frage auseinander, unter welchen Prämissen in der Musik des Barocks Teilnehmende partizipieren und koexistieren. Als Versuchsfeld eignet sich besonders der Generalbass, der nur geringe Teile der intendierten Musik in musikalischer Notation festhält und mit Instrumenten besetzt werden kann, die sich in Funktion und Geltungsbedürfnis scheinbar konkurrieren. Originalquellen stehen dabei häufig in Widerspruch zu heutig etablierter Praxis, generieren aber auch selbst gewisse Spannungsfelder, die im Hinblick auf eine bedeutsame Annäherung an die Ästhetik der Zeit nur mit künstlerischer Forschung weiter aufgelöst werden können.
Künstlerisch-forschende Arbeit, die Quellen und musikwissenschaftliche Erkenntnisse mit Prämissen der Praktikabilität und künstlerischen Sinnhaftigkeit neu abgleicht und durch Fragen der Partizipation einer Grundidee der barocken Tonkunst sich noch näher heranzutasten versucht, steht im Zentrum des Projekts.
Ziele
Durch die Beschäftigung mit Parametern wie Besetzung, Aussetzung und Aufstellung einerseits, Dynamik, Führungsanspruch, Klanghierarchie und Spielweise andererseits, wird das Ziel verfolgt, gewonnene Erkenntnisse in das eigene Musizieren zu integrieren und sich fundiert zu ihnen positionieren zu können. In dafür stattfindenden Workshops mit den Projektverantwortlichen, weiteren Lehrenden der HIP-Abteilung und Studierenden greifen Musikvermittlung, Forschung und künstlerisches, ergebnisoffenes Musizieren interdisziplinär ineinander. Durch diesen experimentellen und interdisziplinären Ansatz in Bezug auf die oben genannten Problemfelder wird sich ein neues, tieferes Verständnis des barocken Generalbass- und Ensemblespiels etablieren. Diese Arbeit wird sowohl in einem öffentlichen Lecture-Recital als auch auf der Homepage dokumentiert und in die Lehrveranstaltungen an der HfMDK Frankfurt einfließen.
Ablauf im Überblick
In Anschluss an das seit dem Sommersemester 2020 durchgeführte Seminar „HIP im Experiment“ (betreut durch Prof. E. M. Pollerus) bildeten sich Ensembles aus Studierenden, die anhand ausgewählter Werke in künstlerische und quellenkritische Auseinandersetzung mit den Fragestellungen des Projekts gingen. Während drei Workshops wurde jeweils einer der bereits erwähnten Aspekte fokussiert, um sich so möglichst differenziert zu den in der alltäglichen Spielpraxis unvermeidbar ineinandergreifenden Themen positionieren zu können. So wurde ein erster Workshop mit dem Fokus auf die Frage der Partizipation und Funktionsteilung im Ensemble, ein zweiter auf historische Aussetzungen in Hinblick auf diese Problemstellung und ein dritter mit dem Ziel, das Erprobte interdisziplinär in die Diskussion mit der Psychoakustik zu stellen, durchgeführt. Ein öffentliches Lecture Recital machte erste Ergebnisse dieser Arbeit hörbar und für eine fachfremde Zuhörerschaft nachvollziehbar.
Durchgeführte Aktivitäten
Nach einer Einführung (14.4.2021) experimentierten Studierendenensembles während des ersten Workshops (21.4.2021) mit verschiedenen Ensembleaufstellungen, überlieferten Ausführungen von Arpeggien und deren Auswirkungen, Besetzungsfragen und Durchhörbarkeit im Ensemble bzw. innerhalb der Continuo-Gruppe (z.B. bei Verzierungen). Dem Lecture-Recital vorangestellt fanden Probentage (5.-7.5.2021) mit weiteren Experimenten statt. Die dabei erarbeiteten Werke wurden anschließend exemplarisch präsentiert und die jeweiligen Forschungsschwerpunkte der Zuhörerschaft erläutert (8.5.2021). Die Erfahrungen des ersten Workshops wurden daraufhin diskutiert, weiterführende Quellenrecherche wurden angeschlossen (7.&14.7.2021) und der zweite Workshop (16.7.2021) vorbereitet. Nachgegangen wurde der Frage, was die historischen Aussetzungen in Bezug auf Tempo, Harmonik, Dynamik, Besetzung und Charakter offenlegen. Die Ergebnisse konnten anschließend auf Werke, die ohne ausnotierte Continuo-Stimmen vorlagen, übertragen werden. Der dritte Workshop (10.-12.9.2021) fokussierte die psychoakustischen Grundlagen, um das bisher Verfolgte begrifflich zu schärfen. Dafür kam Toningenieur Johann Steinecker zu Gast, der mit einem Vortrag in das Spannungsfeld Akustik-Wahrnehmung-Tontechnik einführte. Verschiedenste Experimente, die bis dahin primär aus Sicht der Quellen und auf ihre Ausführbarkeit hin geprüft wurden, konnten nun interdisziplinär analysiert werden, wie bspw. das Phänomen der „Verdeckung“.
Protokolle der Experimente und Workshops
Zusammenfassung: Interdisziplinärer Workshop mit DI Johann Steinecker
Präsentation & Dokumentation
Die Arbeit des Projekts wurde sowohl schriftlich als auch audiovisuell dokumentiert. Die stattgefunden Workshops wurden detailliert protokolliert und projektintern zugänglich gemacht. Ein Videotrailer, der sich aus dem festgehaltenen Material während der Workshops und des Lecture- Recitals sowie abschließenden Interviews mit Prof. Eva Maria Pollerus, Daniel Rosin, Johann Steinecker, Alexander von Heißen und Sophia Kind zusammensetzt, konnte durch die Mitarbeit von Alexander von Heißen fertiggestellt werden und wird über einen Link abrufbar sein. Weitere Beiträge, die aus dem Projekt heraus entstanden sind, wurden ebenfalls zugänglich gemacht.
Ergebnisse
Im Rahmen der künstlerisch-forschenden Workshops wurde durch das Erarbeiten gezielter Werke das Spannungsfeld zwischen historischen Quellen und teils unhinterfragter Praxis im Sinne des Projekttitels erfahrbar. Methoden und quellenorientierte Arbeitsweisen in Bezug auf eine Hörerwartung, die explizit auf dem Gebiet der musikalischen Funktionsteilung Problemfelder generiert, konnten entwickelt und für zukünftige künstlerische Entscheidungsprozesse abrufbar gemacht werden. Dabei zeigt sich, dass musikalische Koexistenz auch in komplexen Konstellationen möglich ist, allerdings bedarf es in diesen Fällen besonders vorsichtiger Arbeitsweisen, die in ihrem Erfolg in besonderem Maß von der Anwendung historischer Quellen mit Hinweisen auf die entsprechende Ästhetik abhängen.
In einem analytischeren Teil konnte in Zusammenarbeit mit dem Toningenieur Johann Steinecker das akustische Phänomen der “Verdeckung” bzw. “Maskierung“ zwischen sich konkurrierenden Continuo-Instrumenten nachgewiesen werden. Bei der vergleichenden Analyse von am Ort produzierten Audiodateien in einer Versuchsanordnung mit wechselnden Parametern zeigte sich,
dass klangliche Verdeckung nicht zwingend durch Anpassungen in der Besetzung gelöst werden muss, sondern mit bewusst geführter Klanggestaltung (im historischen Sinn) zu sehr guten Resultaten in Sachen musikalischer Koexistenz führen kann. Aus dieser Beobachtung lassen sich für zukünftige Konzerte oder Audioproduktionen zusätzlich produktive Konsequenzen ziehen.
Die Ergebnisse dieses Projekts konnten bereits und werden weiterhin in die Lehre an der HfMDK Frankfurt einfließen. Darüber hinaus ist langfristig eine fortführende Realisierung des Projekts mit dessen Fragestellungen geplant, dem dieses bewilligte Projekt als Basis dienen soll, um sich daran anknüpfend mit den vielschichtigen Einzelaspekten noch detaillierter auseinandersetzen zu können.
Dank
Wir möchten uns herzlich für die Förderung des Projekts bedanken, durch die unser eigenes Musizieren sowie die weiterführende Lehre sehr bereichert wurde.
Frankfurt am Main, 11. Januar 2022
Prof. Eva Maria Pollerus, Prof. Jesper Christensen, Daniel Rosin, Sophia Kind