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30.04.2025
23:30 – 23:50
„Traum der elektrischen Schafe“ – Werke von Josquin Desprez und Orm Finnendahl
Josquin Desprez (1437-ca. 1520): „Une Musque de Biscaye“ (ca. 1500), 4-stimmiges Madrigal
Singer Pur, Gesang
Orm Finnendahl (*1963): „Ordonarequin“ für mitteltönig gestimmtes Cembalo (2020) UA
Eva-Maria Pollerus, Cembalo
Orm Finnendahl (*1963): „Traum der elektrischen Schafe“ für 6 Stimmen, vier Streicher und Synthesizer (2022) UA
Marta Guillen Pegueroles, Violine | Aurelia Toriser, Viola | Sara Roque, Violoncello | Zacharias Fasshauer, Kontrabass | Zhaolong Sun, Synthesizer | Maria Ravvina, Leitung
Singer Pur:
Sarah M. Newman, Sopran | Christian Meister, Tenor | Marcel Hubner, Tenor | Manuel Warwitz, Tenor | Jakob Steiner, Bariton | Silas Bredemeier, Bass
Harmonische Partialtonreihen, die Basis vieler Klänge traditioneller Musikinstrumente, werden seit Jahrtausenden als Indiz für die „Natur“ der Klänge verwendet: Nicht zuletzt heißt die Partialtonreihe auch „Naturtonreihe“ und es gibt eine lange Historie, die Intervalle und die Dur-Moll Tonalität auf Natur bezieht. Nicht zuletzt schreibt beispielsweise Helmholtz in der Einleitung seiner berühmten Abhandlung „Die Lehre von den Tonempfindungen“: „Für die Erbauung des Harmonium natürlicher reiner Stimmung, welches S. 512 beschrieben ist, diente mir der Soemmering'sche Preis, den mir die Senckenbergische naturforschende Gesellschaft zu Frankfurt a. M. bewilligte.“
Im Cembalo-Vorspiel vom "Traum der elektrischen Schafe" wird die "Natürlichkeit" der mitteltönigen Stimmung befragt, wenn eine kurze Sequenz eines Madrigals von Josquin Desprez durch alle chromatischen Tonstufen geführt wird. In der Fortführung der Komposition für 6 Stimmen, 4 Streichinstrumente und 1 Synthesizer schließlich werden unterschiedlich gespreizte oder gestauchte Spektralakkorde eingesetzt, die merkwürdig „verbeulte“ Naturtonreihen erzeugen und im Zusammenhang mit Überlegungen zu künstlicher Intelligenz eine imaginierte, fremde, aber zugleich erkennbar stimmige Musik dieser „anderen“ Lebensform (und damit auch einer anderen möglichen „Natur“) darstellen.
Kommentare zu „Ordonarequin“/„Traum der elektrischen Schafe“
Ordonarequin bezieht sich auf den Chanson „Une musque de Biscaye“ von Josquin Desprez. Ein kurzer Ausschnitt aus der Komposition wird in immer wieder neuen Konstellationen auf die verschiedensten Tonstufen transponiert. Aufgrund der speziellen Stimmung des Cembalos und vielfältiger Diminutionen klingen diese Tonkonstellationen trotz ihrer Ähnlichkeit immer wieder anders, da die Intervallverhältnisse in verschiedenen Tonarten jeweils näher oder weiter entfernt von einer reinen Stimmung sind und erzeugen so beim Zuhören einen ganz eigenen Reiz einer merkwürdig "verbeulten" Harmonik.
Die Komposition "Traum der elektrischen Schafe" nimmt ihren Ausgang vom Beginn des Cembalostücks, dessen Harmonik durch viele Zerrspiegel spektral deformiert in eine fiktive, spekulative Traumwelt als Allegorie einer unbekannten, von Technologie geprägten Zukunft mündet. Der Text wurde dabei aus dem folgenden Ausschnitt des bedeutenden und zukunftsweisenden Textes "Über die Würde des Menschen" von Giovanni Pico della Mirandola, einem Zeitgenossen von Josquin Desprez, generiert:
"Denignemur terrestria caelestia contemnamus et quicquid mundi est denique posthabentes ultramundanam curiam eminentissimae divinitati proximam advolvemus."
In der deutschen Übersetzung (Herbert W. Rüssel):
"Nachdem wir alles, was noch von dieser Welt ist, hinter uns gelassen haben, wollen wir jenem außerweltlichen Palaste zueilen, welcher der erhabenen Gottheit am nächsten ist."
Die Erzeugung des Textes und der speziellen mikrotonalen Harmonik für die Komposition fand dabei unter Zuhilfename algorithmischer, (de)konstruktivistischer Verfahren aus der Künstlichen Intelligenz statt.
Die Ausführung einer solch abenteuerlichen Musik durch menschliche Stimmen ist angesichts der mikrotonalen spektralen Differenzierung auf elektronische Unterstützung in Form des Synthesizers und spezieller elektronischer Stimmgabeln angewiesen, die ich als Sinnbild für die Ambivalenz des Verhältnisses von Mensch und Technologie zwischen Glücksversprechen und Abhängigkeit verstehe.
TEXT: ORM FINNENDAHL