Roots & Routes

Szene aus einer Tanzperformance, eine Gruppe Tänzer*innen in rotes Bühnenlicht getaucht.
(Foto: Charlotte Bösling)

Tanz und Musikwissenschaft – an der HfMDK gibt es zwischen den beiden Disziplinen meist wenige Berührungspunkte. Prof. Dr. Christina Richter-Ibáñez und Prof. Isaac Spencer haben mit einem interdisziplinären Projekt mit der Choreografin Rena Butler neue Formen der Zusammenarbeit ermöglicht.

TEXT: PIA SPRINGSKLEE

Auf die Initiative von Prof. Isaac Spencer hin war die preisgekrönte US-amerikanische Choreografin Rena Butler im Mai 2024 erneut in Frankfurt zu Gast, um mit den Studierenden des zweiten Jahrgangs im BAtanz eine Neuauflage ihres Stückes „Aguas Que Van, Quieren Volver“ zu erarbeiten. In dem dreiwöchigen Workshop adaptierten sie das ursprünglich als Trio für das Hubbard Street Dance Chicago Ensemble konzipierte Werk für die neun Tänzer*innen. Die Teilnehmenden des musikwissenschaftlichen Seminars „Roots & Routes“ von Prof. Dr. Christina Richter-Ibáñez entwickelten Bewegungen mit der Choreografin und besuchten die Proben, in denen die Tanz-Studierenden einige ihrer Ideen in die Inszenierung einarbeiteten. Nicht nur die kreative Zusammenarbeit der Kommilitoninnen und Kommilitonen, sondern auch die theoretischen Überlegungen, die sich aus der ungewohnten Arbeitsweise ergaben, standen für Studierende und Lehrende in anschließenden Reflexionssitzungen im Mittelpunkt. Das Ergebnis war bei einem Präsentationsabend der Tanzabteilung im Juni 2024 zu sehen.

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Bereits 2022 hatte Prof. Isaac Spencer Rena Butler, die er aus seiner Zeit bei Hubbard Street Dance Chicago kennt, im Rahmen seiner kuratorischen Tätigkeit an der Hochschule zu einem zweitägigen Workshop nach Frankfurt eingeladen. In langen Gesprächen und Versuchen, sie für eine ganze Inszenierung nach Frankfurt zu holen, entstand die Idee, gemeinsam mit den Studierenden eines ihrer Stücke in Frankfurt einzustudieren.

Als die Wahl auf „Aguas Que Van, Quieren Volver“ gefallen war, in dem Butler ihre Wurzeln im Salsa mit ihrer Tätigkeit in Ballett und Modern Dance verbindet, bemühte sich Spencer um Kooperationspartner*innen an der Hochschule. Populäre lateinamerikanische Tänze und Rhythmen sowie deren historische Beziehungen standen im Fokus des Seminars „Roots & Routes“, das Prof. Dr. Christina Richter-Ibáñez aufgrund ihrer wissenschaftlichen Expertise extra für die Kooperation mit der Tanzabteilung konzipierte. Rena Butlers Enthusiasmus und Flexibilität sowie die Bemühungen aller Beteiligten, in den eng getakteten Stundenplänen der Studierenden Zeitfenster ausfindig zu machen, in denen sie sich in der großen Gruppe treffen konnten, ermöglichten die Umsetzung des Vorhabens.

Nachdem Rena Butler mit den Tanzstudierenden zu proben begonnen hatte, traf sie sich auch mit Studierenden aus den Studiengängen Lehramt, Gesang, Komposition und Musikpädagogik, die sich im musikwissenschaftlichen Seminar bereits seit einigen Wochen mit populärer lateinamerikanischer Musik auseinandergesetzt hatten. Die Studierenden lernten hier den Hintergrund von Butlers Stück kennen und erlebten ihre performative Arbeit in einem Bewegungsworkshop mit: Ausgehend von der Aufgabe, Gesten für stereotype Bilder einer Mutter und eines Vaters zu entwickeln, erarbeitete die Gruppe eine kleine Choreografie. Bereits in dieser ersten Sitzung erweiterte das Projekt den üblichen Horizont musikwissenschaftlicher Seminare besonders für das Studium der Musikpädagogik:

»Diese Erfahrung, dass man Gesten sehr leicht entwickeln und auf jede Musik eine kleine Choreografie erstellt werden kann, ist auch etwas, dass man mit Schüler*innen umsetzen könnte. Solche Anreize kann ein rein historischer Zugang zu lateinamerikanischer Musik, wie er in der Forschung stattfindet, gar nicht geben. «Prof. Dr. Christina Richter-Ibáñez

Zusätzlich zu ihrem regulären Seminarprogramm besuchte die Gruppe eine Probe. Die Tatsache, dass sie einerseits ein bestehendes Stück der renommierten Choreografin einstudierten, es andererseits gemeinsam mit ihr zu etwas Neuem weiterentwickelten, ist für Prof. Isaac Spencer und seine Studierenden ein Highlight der Kooperation. „Das ist symbolisch für diese Zusammenarbeit: Rena war sehr spezifisch, aber es gab gleichzeitig auch viel Spielraum“, hebt Spencer hervor. Die Theoriekurs-Teilnehmer*innen stellten beim Zuschauen fest, dass Rena Butler beim Vermitteln ihrer Choreografie an die Tänzer*innen trotz der unterschiedlichen Vorkenntnisse die gleichen Prinzipien und Methoden wie in ihrem eigenen Workshop anwandte.

Zum Ende der Sitzung brach Butler die Rollenverteilung von Beobachter*innen und Performer*innen auf, indem sie die Tänzer*innen die von der Seminargruppe choreografierten Bewegungen einstudieren ließ. Auf Grundlage dieser Gesten improvisierten die Tanzstudierenden wiederum weitere Szenen, die in die Adaption des Stücks einflossen und zum Teil in der Aufführung erkennbar an den ersten Seminarworkshop erinnerten.

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Auf diese Probe folgte eine weitere Diskussionsrunde, in der die Teilnehmenden des „Roots & Routes“-Kurses ihre Beobachtungen teilten und Anschlussfragen an Rena Butler und die Tanzdozierenden Prof. Isaac Spencer und Nora Kimball-Mentzos stellen konnten. Für die Projektverantwortlichen ist diese Art der Reflexion ein entscheidender Erfolg der Kooperation: „Es geht nicht immer nur um Rhythmus, sondern auch viel um Klang-Schlüsselereignisse, die zur Strukturierung des Tanzes dienen und Inspiration bieten“, fasst Prof. Christina Richter-Ibáñez die Erkenntnisse der Studierenden zusammen. In der Diskussion darüber, wie Lehramtsstudierende die neu gelernten Ansätze in ihre pädagogische Arbeit mitnehmen können, betonte Rena Butler, dass für sie die Wahrnehmung im Mittelpunkt stehe. Der Fokus auf den eigenen Körper einerseits und auf den Raum und auf die anderen darin andererseits, transformiere die Interaktion in Bewegung und Klang: „Man kann die Musik spüren und den Raum hören.“

Der interdisziplinäre Austausch fand seinen Abschluss in einer gemeinsamen Reflexion im Musiktheoriekurs für Tanzstudierende von Prof. Dr. Ulrich Kreppein, mit dem Prof. Richter-Ibáñez ihr Seminar in einer Woche zusammenlegte. Unter der Moderation der Lehrenden hatten hier nochmal alle Beteiligten Gelegenheit zum offenen Austausch und zur Diskussion. Die Studierenden aus dem Tanz und dem wissenschaftlichen Seminar betonten, wie wertvoll diese gegenseitige Befruchtung für ihr weiteres Studium und ihre zukünftige Arbeit war.

„Wir Tänzer*innen sehen die Musik als etwas viel Allgemeineres: Wir hören gewisse Cues, zum Beispiel Wort-Cues, und dass Musizierende eben eine ganz andere Art haben, die Musik zu analysieren“, sagt Saskia Josephine Lehm.

„Für uns Lehramtsstudierende ist es interessant, den zusätzlichen Zugang zur Musik zu sehen, dass es neben dem Körperbezug der Musik und auch der Musikinterpretation noch etwas gibt, was man beim bloßen Hören und beim bloßen Analysieren nicht wahrnimmt, sodass man noch eine zusätzliche Wahrnehmungsebene erfahren kann“, ergänzt Helena Gerl.

Die Studierenden freuen sich über die Anregungen zwischen den verschiedenen Fachbereichen der Hochschule und wünschen sich, dass der Kontakt in Zukunft weitergeführt und vertieft wird. „Die Tanzabteilung ist im A-Gebäude im Keller, wir kommen einfach nicht so oft raus, der Stundenplan ist immer voll“, erläutert Cora-Stella Walter, „und trotzdem die Möglichkeit zu haben, auch andere Studierende aus anderen Fachbereichen kennenzulernen und deren Sichtweise auf unsere Kunstform zu sehen, war sehr schön.“ Über den angeleiteten fachlichen Austausch hinaus, empfinden die Studierenden vor allem die persönliche Begegnung mit Studierenden anderer Kunstformen als bereichernd, und setzen sie teilweise privat fort. „Ich glaube, bei uns im Tanz finden alle ihren jeweils eigenen Zugang zur Musik, deswegen war es sehr bereichernd, mal von Musiker*innen und Profis zu hören, wie sie das machen, und dann die eigenen Schlüsse zu ziehen“, findet Hannes Lüttringhaus.

Die Weiterentwicklung der eigenen künstlerischen Praxis und die gegenseitige Inspiration ist für die Projektverantwortlichen ein grundlegendes Ziel ihrer Lehrtätigkeit und solcher Projekte. Für Prof. Isaac Spencer war die Zeit für Gespräche und gemeinsames Ausprobieren sehr wichtig: „Auch wenn der Stundenplan vorgeschrieben ist, gibt es Raum, etwas Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln.“ Auch Prof. Christina Richter-Ibáñez findet: „Wenn so etwas entsteht, sind wir erfolgreich.“

Artist Talk im Mousonturm
Artist Talk im Mousonturm(Foto: Marianna Brzostowski)

Die Ergebnisse der Zusammenarbeit wurden schließlich im Rahmen des Abends „the TIMES / the DEPTHS“ der Tanzabteilung am 7. Juni 2024 im Mousonturm der Öffentlichkeit präsentiert (und ist seit kurzem in Auszügen auch auf dem YouTube-Kanal der HfMDK zu sehen).

Das Publikum konnte nicht nur die fertige Adaption von Rena Butlers Stück bestaunen, sondern in einer anschließenden Podiumsdiskussion von beteiligten Studierenden und Lehrenden mehr über den Entstehungsprozess der Inszenierung erfahren.

Wie die Zuschauer*innen waren auch die Studierenden, die den Probenprozess begleitet hatten, begeistert: „Als wir die Aufführung besuchten, haben wir gesehen, wie sich die Choreografie seit der ersten Probe in so kurzer Zeit weiterentwickelt hat. Das war sehr beeindruckend, wie schnell das voranging! Vor allem das Ergebnis, nämlich eine Show, die von Anfang bis Ende einfach nur superunterhaltsam ist“, resümiert Schulmusikstudent Philipp Schwed.

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