Schauspiel als demokratische Praxis
Ensemblemitglieder auf Zeit. Das Studiojahr ermöglicht den Studierenden der HfMDK ein Jahr lang Spielerfahrung im festen Ensemble an den Stadt- und Staatstheatern der Hessischen Theaterakademie. Das erfordert auf beiden Seiten ein Learning by Doing und den Austausch auf Augenhöhe.
Mit unglaublichem Enthusiasmus kommen sie jährlich an unsere Hochschule: Durchschnittlich 350 Bewerbende für die Aufnahmeprüfung, die sich nicht nur anmelden, sondern auch wirklich ihre Rollen präsentieren. Acht von ihnen werden schließlich für das Schauspielstudium ausgewählt. Wer ein solch umfangreiches Auswahlverfahren hinter sich hat, brennt für den Beruf, von dem man hofft, dass das zukünftige Arbeitsfeld einem einige gute Chancen bieten möge. Wenig Geld, aber viel Idealismus? Das ist allerdings eine alte Rechnung, die heute nicht mehr ohne Weiteres aufgeht. Mögen die einen oder anderen Theaterleitenden noch insgeheim auf diese Rechnung bauen: Sie hat keine Zukunft mehr. Die neue Generation erwartet, dass ihr Arbeitsplatz all die gesellschaftlichen Impulse reflektiert, die in den letzten Jahren zum Thema Intersektionalität und Machtmissbrauch den öffentlichen Diskurs geprägt haben, und das heißt für sie ganz praktisch: Sie wünschen sich ein Theater ohne starre Hierarchien und einen Führungsstil, der auf Vertrauen und Teilhabe setzt und dies mit einem gerechteren Gagensystem flankiert. Obwohl die öffentlichen Subventionen in den belasteten Kulturträger*innen aus Stadt und Land immer knapper werden, Tariferhöhungen, steigende Materialkosten und Inflation die beweglichen Gelder für die Theaterproduktionen noch mehr schrumpfen lassen, ist die kommende Generation nicht mehr bereit, ihre Haut zu Markte zu tragen, um das System einfach nur am Laufen zu halten. Auch die Theater leiden an einem Erschöpfungsprozess: Die immer kleiner werdenden Ensembles produzieren schon so viel, dass mehr nicht möglich ist; es gibt einen Bedeutungs- und Publikumsverlust für das Theater zu beklagen, vom Fachpersonalmangel in Werkstätten und Bühnentechnik ganz zu schweigen. Die Krise ist da, auch wenn sie eigentlich keiner aussprechen will, und viele stattdessen fürchten, dass jeder weitere Machtmissbrauch, der in den Theatern aufploppt, dieses spannende Metier in Verruf bringt.
Aus der Not machen einige mutige Theaterleitende eine Tugend: An vielen Theatern beginnt ein Transformationsprozess. Wie kann die Zukunft aussehen? Dazu gehört auch, gemeinsam auszuhandeln, wie die Zusammenarbeit ablaufen sollte – so haben auch wir im Ausbildungsbereich Schauspiel vor einigen Jahren mit Lehrenden und Studierenden unsere Leitlinien der Ausbildung gemeinsam formuliert. Dazu gehören Arbeitszeiten genauso wie Exit-Strategien im künstlerischen Prozess, ebenso eine Fehlertoleranz auf beiden Seiten, die mit Wertschätzung des Gegenübers verknüpft ist. Es braucht Kommunikation: das eigene Anliegen zu benennen, Fehler anzuerkennen, Grenzüberschreitungen aufzuzeigen, nicht gleich zu verurteilen und zu polarisieren. Nur durch ein Sowohl-als-auch entsteht Vertrauen: Ich darf mich zeigen, Fehler machen, Grenzen markieren und doch zugleich dem anderen mit Respekt begegnen – was nichts anderes meint, als ihm dieselben Rechte und Pflichten zuzusprechen, die gleichermaßen mir zukommen. Es ist eine demokratische Praxis, die in der Ausbildung geübt wird und die die Studierenden in ihre zukünftigen Arbeitsplätze hineintragen. Das ist zweifelsohne ein wichtiger Beitrag, den die Hochschule für die Zukunft der Kulturinstitutionen beitragen kann.
Im Ausbildungsbereich Schauspiel beginnt es schon mit dem Studiojahr. Das Studiojahr ist für unsere Studierenden ein Leuchtturm der Ausbildung, denn im dritten Ausbildungsjahr verbringen sie ein Jahr an einem Theater der Hessischen Theater Akademie (HTA) in Frankfurt, Mainz, Mannheim, Marburg, Gießen oder Wiesbaden und stehen an der Seite der Profis auf der Bühne. Sie sind Ensemblemitglieder auf Zeit. Das verheißt: abendliche Spielerfahrung, Proben unter professionellen Bedingungen, Kontakte mit Regieführenden und Schauspielenden, Profilierung in einem Stadt-und Staatstheatersystem durch den engen Kontakt mit der Theaterleitung. Doch Erwartungen werden bisweilen auch mal enttäuscht. Es entstehen Konflikte, weil Studierende mit zu kleinen Rollen besetzt werden oder die Profis sich von ihnen mehr Unterordnung und Leistungsbereitschaft wünschen. Über länger als sieben Jahre haben wir trotzdem ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen unserem Ausbildungsbereich und den Theatern aufbauen und entwickeln können. Immer wieder wurden mit den Partnertheatern kritisch und direkt die Probleme beim Namen genannt, ausgewertet, geschaut, was wir in den gemeinsamen Prozessen verbessern können. Learning by Doing heißt, einen Austausch auf Augenhöhe zu pflegen, statt sich in gegenseitigen Schuldzuschreibungen oder Vorwürfen zu verstricken. So werden die Studierenden des dritten Ausbildungsjahrgangs von Mentor*innen, jeweils eines Mitarbeitenden des Theaters und einer Lehrperson aus der Hochschule unterstützt. Sie führen Gespräche, fangen Unsicherheiten und Fragen der Studierenden auf, gehen auf Proben, um den Studierenden Feedback zu geben. Es entsteht ein Begegnungsraum zwischen den Theaterschaffenden von heute und den Spielenden von Morgen. Am Ende kommen die Studierenden mit mehr Selbstbewusstsein als Spieler*innen zurück. Doch am Anfang muss erst einmal ausgehandelt werden, welche*r Studierende warum an welches Theater kommt, wer welche Rolle spielt und welche Inhalte und Besetzungen ein zeitgenössisches Theater heute vertreten sollte. Nur wenn die Theaterleitungen für ein Jahr die Mitverantwortung übernehmen und die Ausbildung der Studierenden befördern, anstatt nur „günstige Ensemblemitglieder“ zu haben, gelingt der Austausch: Dann entsteht Vertrauen zwischen den Generationen und die Studierenden erfahren, dass die Theaterleitungen allzu oft selber Entscheidungen treffen müssen, die ihnen von der Kulturpolitik vorgegeben werden. Zeit für Prozesse und Vertrauen in das jeweilige Gegenüber sind das, was in der zunehmenden Ökonomisierung der Theater zurückgewonnen werden muss. Nur dann können wir der Kunst die Bühne geben, die sie verdient.
Fragen & Kontakt
Das Studiojahr Schauspiel wird freundlich unterstützt von der Crespo Foundation und der Aventis Foundation.